Vom Leben als Pirat und Pfarrersfrau

Vier Fragen an Koschka Linkerhand, die kürzlich mit Ein neuer, ein ganz anderer Ort ihren zweiten Roman im Querverlag veröffentlicht hat.

Liebe Koschka, Du hast den äußerst erfolgreichen Sammelband „Feministisch streiten“ herausgegeben und hältst viele Vorträge zur Patriarchatskritik. Gleichzeitig hast Du die Gabe literarischen Schreibens, was Dir sehr am Herzen zu liegen scheint – eine Seltenheit, wie kommt es dazu?

Koschka: Ich denke, zuerst war das Bedürfnis, mich übers Schreiben auszudrücken. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der ich das nicht gehabt hätte. Mit 19, 20 habe ich mich politisiert, besonders der Feminimus wurde mir wichtig. Politischsein hat für mich immer in erster Linie bedeutet, mich mit Texten, mit Theorie auseinanderzusetzen, und irgendwann selbst welche zu schreiben. Der feministische und der literarische Ehrgeiz sind also meine beiden Flammenschwerter tragenden Begleiter. Es sind einfach verschiedene Weisen, die Welt in treffende Worte fassen zu wollen – wobei ich es viel schwieriger finde, mit den literarischen Texten vor die Leute zu treten, als mit den politischen.

Dein erster Roman „Die Irrfahrten der Anne Bonnie“ ist die fiktive Geschichte einer wahren historischen Figur, der Piratin Anne Bonny. Woher kommt die Faszination an dieser Frau, dass Du im zweiten Roman mit ihr als Protagonistin weiter schreibst?

Koschka: Als ich zum ersten Mal von Anne Bonny gehört habe, war ich gleich fasziniert: von ihren Maskeraden, ihrer Verlassenheit in der Welt, und auch von der keineswegs seriösen Quellenlage aus Balladen, erotisierenden Flugblättern und kriminalistischen Berichten bis hin zur feministischen Sehnsuchtsprojektion. Zwischen all diesen Bildern bleibt eine Leere, die ich meinerseits unbekümmert mit Projektionen füllen konnte. Es hat mich sehr gereizt, mir diese in Zeit und Raum entrückten Figur als Alter Ego anzueignen. 

Der soeben erschienene zweite Roman „Ein neuer, ein ganz anderer Ort“ lässt nicht nur Anne Bonnie, jetzt als Pfarrersfrau Anne Burleigh, weiterleben, sondern Du bleibst auch im 18. Jahrhundert in North Carolina, das zum Bible Belt gehört und ein Land vieler indigener Völker und Afroamerikaner war und ist. Warum diese Zeit, dieser Ort, dieser Schauplatz? 

Koschka: Ich hatte immer das Gefühl, dass die Geschichte nach dem Ende von Annes Seeräuberzeit noch nicht zu Ende ist. Was um Himmels willen macht man, wenn das große Abenteuer vorbei ist und dann ist immer noch Patriarchat und man muss sich als Ehefrau und Mutter durchschlagen wie jede normale Frau? Immer noch geht es darum, eine irgendwie passende Maskerade, eine irgendwie passende Geschlechtlichkeit zu leben – und währenddessen erzählt Anne sich selbst, dass sie eigentlich jemand ganz anderes ist. Insofern finde ich gar nicht so sehr, dass zwischen Pirat und Pfarrersgattin Welten liegen. Dazu kommt natürlich, dass Annes Eheleben in einer historisch sehr spannungsvollen und offenen Zeit stattfindet. Die stand mit den „Irrfahrten“ ja schon fest, und erst beim Weiterschreiben ist mir aufgefallen, wie aufregend und schrecklich die Dinge im kolonisierten Nordamerika lagen.   
Beim Schreiben hat mich auch bewegt, dass die Brüche, die in Annes Weiblichkeit so drastisch und dramatisch zu Tage treten, sehr viel mit der Lebensrealität vieler Frauen überall auf der Welt zu tun haben. Den Konflikt zwischen reproduktiven Tätigkeiten – Familie, Kinder, der Wunsch, für andere da zu sein und geliebt zu werden – und dem Begehren nach einem ganz eigenen, autonomen Leben gibt es ja überall im kapitalistischen Patriarchat. Ungebrochene Heldinnenfiguren, die von dieser Problematik des gesellschaftlichen Frauseins ganz unberührt sind und mit wehenden Haaren voranstürmen, finde ich oft langweilig.

Verrätst Du noch, ob Du am nächsten Sachbuch oder Roman sitzt?

Koschka: Gerade sitze ich an verschiedenen politischen Texten – und an der Lebensgeschichte einer jungen Frau, die ihre Familie verlassen musste, um ihr lesbisches Begehren zu leben, ohne dafür ermordet zu werden. Dafür eine gute Form zu finden, ist eine große neue Herausforderung. Aber die Sehnsucht nach dem Romanschreiben sitzt in einer Ecke meines Schreibtischs und lächelt mich regelmäßig an.   

Die Fragen stellte Ilona Bubeck, Mitbegründerin des Querverlags.

Koschka Linkerhand lebt in Leipzig und arbeitet halbtags was mit Menschen. In der anderen Hälfte ringt sie darum, einen materialistischen Feminismus auf den Punkt zu bringen und auch in ihrer pädagogischen Praxis sowie in der schönen Literatur fruchtbar zu machen. Sie hält feministische Emanzipation für das glaubwürdigste aller Glücksversprechen, zumindest für Frauen und Lesben. Im März 2018 brachte sie den Sammelband Feministisch streiten – Texte zu Vernunft und Leidenschaft unter Frauen heraus. Im Herbst 2018 erschien der historische Roman Die Irrfahrten der Anne Bonnie; Herbst 2021 dann der Roman Ein neuer, ein ganz anderer Ort.

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